Von Thomas Austermann
Seine Leidenschaft für Königsblau will Johan Scherr gar nicht kaschieren – ganz im Gegenteil. Der neue Kapitän der FCG-Oberligamannschaft stammt aus Marl und verließ den dortigen Stadtteilverein SuS Polsum bereits als siebenjähriger Knirps gen FC Schalke 04. Bis zur U17 sollte er bleiben. Mit der Zeit und nachhaltig entwickelte sich die wahre Beziehung zum Knappenclub, die noch immer hält. Auch über die Distanz.
Seit 2018 lebt Johan Scherr in Münster. Direkt nach seinem Jahr bei den Bundesliga-A-Junioren des SC Preußen, zu denen er nach einer Serie im rot-weißen Essener Dress gewechselt war, blieb er hier. „Heute denke ich, dass ich noch ein Kind war zu meinen Preußenzeiten“, sagt er und blickt auf seine Persönlichkeitsentwicklung. „Ich hab‘ danach etliche wichtige Schritte gemacht.“ Er wurde Azubi bei der Sparkassen Immobilien GmbH und in drei Jahren zum Immobilienkaufmann, Schwerpunkt Vertrieb. „Das war genau richtig da für mich. Ich bin bestens klargekommen in einem tollen Team.“
So ähnlich verlief es auch auf sportlicher Seite, denn Mitte 2018 kam Scherr zum FCG und sprang direkt in die Oberligatruppe von Trainer Benjamin Heeke. Ein schwieriges Jahr sollte das werden, wirklich konkurrenzfähig war der Kader auf Strecke gesehen nicht. „Mir hat das Jahr etwas gebracht, denn ich habe gespielt und gespielt. Dadurch lernt man am meisten.“ In der aktiven Weiterbildung wurde Scherr danach erstmal blockiert – Verletzungen und die Pandemie „kosteten mich ungefähr zwei Jahre, die fehlen mir tatsächlich.“ Die vom Aufstieg gekrönte letzte Westfalenligaserie entschädigte. Jedenfalls brachte sie dem 1,86m großen Innenverteidiger in 32 Spielen ein neues Standing im FCG ein, denn er war durchweg ein Leistungsträger dank seiner Zweikampf-Cleverness. Duelle führt er gerne, mit Biss, Konsequenz und vorausschauendem Blick. „Je mehr Kontakt zum Gegner, desto besser. Da hat man die Chance, Dominanz zu erlangen.“
Scherr, heute 23 Jahre jung, wertet selbst, „vor allem als Persönlichkeit“ deutlich weitergekommen zu sein. Er kümmert sich selbst darum, ist überzeugt vom Wert des mentalen Trainings, er liest enorm viel und tauscht sich aus mit Menschen, die ebenso fühlen. „Auf Schalke bin ich in sehr vielen Grundlagenbereichen bestens ausgebildet worden. Das hat man dann schon mal drauf. Über die primäre Aufgabe des Verteidigers geht es dann weiter hinaus.“ Er möchte – und kann – ein Spiel lesen und auf dem Platz die Dinge antizipieren. Mentale Stärke zu entwickeln, das ist sein Credo. „Das ist mir schon in die Wiege gelegt worden: Ein Spiel wird zwischen den Ohren entschieden.“ Den Satz kennt er von seinem Papa, auf den das Gespräch kommen muss und darf. Uwe Scherr (55), Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC Kaiserslautern, hat den Fußball dem Sohn vorgelebt. Uwe Scherr war zehn Jahre lang Profi ab 1989, war Meister und Pokalsieger mit den Roten Teufeln, spielte auch für Augsburg, Schalke, den 1. FC Köln und Wuppertal. Dann wechselte er in andere Fußballtätigkeiten von Wert.
„Mein Vater haderte in seiner Karriere auch mal mit sich und widrigen Umständen. Er dachte sehr viel nach über Fehler, über Entwicklungen und reflektierte stark das Erlebte“, sagt Johan Scherr. Druck gemacht habe der Papa niemals. „Meine Eltern haben mir vielmehr immer sehr geholfen. Ich bekam Aufmerksamkeit.“ Oft und weiterhin sind Vater, Mutter und Sohn miteinander im Gespräch, wenn alle in Marl zusammenkommen.
Als neuer Kapitän wird der Kicker mit der Trikotnummer 5 irgendwann etwas Neues zu erzählen haben. „Ich gehe mit viel Demut heran an diese Verantwortung. Ich trete in große Fußstapfen.“ Denn die Mitspieler, die vor ihm im Amt waren, „sind echte Persönlichkeiten des Vereins.“ Von Christian Keil, Nico Eschhaus oder Nils Heubrock „hab‘ ich schon vorher Rückendeckung bekommen“, was er sehr zu schätzen weiß. „Es gibt ja einige Ur-Gievenbecker, zu denen ich aufblicken kann.“ Scherr personifiziert einen Generationswechsel. Er wird an diesem Umstand wachsen wie an der nächsten Lebensstation. Ab Oktober studiert er Psychologe an der IU Internationalen Hochschule, die in Münster einen vor allem digital geprägten Campus aufgebaut hat. „Es hat mich ja schon immer interessiert, mich in andere Menschen hineinzuversetzen“, sagt Scherr und packt den neuen Abschnitt ganz sicher auch an, um den Schritt in Richtung Selbstverwirklichung zu machen.
#AUSPURERFREUDEAMSPIEL